IPv6 ist der direkte Nachfolger von IPv4 und steht seit Dezember 1998, spezifiziert im RFC 2460, zur Verfügung. Wie bei IPv4 wird die Übertragung von Daten in paketvermittelnden Rechnernetzen beschrieben. Auslöser für die Entwicklung waren im Wesentlichen die Adressenknappheit von IPv4 und der Wunsch, das Routing zu vereinfachen. IPv5 war ein experimentelles Protokoll für Echtzeitdatenströme und ist nicht zum praktischen Einsatz gekommen.
Bereits im Abschnitt 5.2 (DoD-Vermittlungsprotokolle) ist darauf hingewiesen worden, dass die Umstellung von IPv4 auf IPv6 kontinuierlich, allerdings recht langsam, verläuft. Das liegt zum Einen an den Geldmitteln, die in die Installation und in den Betrieb der IPv4-Protokolle investiert worden sind und zum Andern an Techniken, wie zum Beispiel an den im Abschnitt 5.3.3 (IPv4-Adressen) beschriebenen Adressübersetzungen, mit denen die Adressenknappheit von IPv4 abgemildert werden konnte.
Dass weltweit nach wie vor IPv4 das überwiegend eingesetzte Internet-Vermittlungsprotokoll ist, schlägt sich auch in der Lehrveranstaltung nieder. Der Schwerpunkt der Beschreibung der Vermittlungsprotokolle liegt bei IPv4. Noch wird IPv6 etwas stiefmütterlich behandelt, allerdings ist eine allmähliche Verschiebung der Themenschwerpunkte hin zu IPv6 zu beobachten. Im vorliegenden Abschnitt werden einige Konzepte des neuen Protokolls aufgeführt, ohne dabei in die Tiefe zu gehen. Im nächsten Abschnitt wird dann kurz das Konzept des IPv6-Protokollkopfs beschrieben, um dann in einem weiteren Abschnitt etwas ausführlicher auf die zugehörigen Adressen und deren Schreibweise einzugehen.
Zunächst fällt bei dem neuen Protokoll die Vergrößerung des Adressraums ins Auge. Während bei IPv4 32 Bits (4 Bytes) für eine Adresse verwendet werden, sind es jetzt 128 Bits (16 Bytes). Damit stehen statt etwa 4,3*109 etwa 3,4*1038 Bitmuster für Adressen zur Verfügung. Wie bei IPv4 werden auch bei IPv6 mehrere Adressarten unterschieden, die allerdings jeweils unterschiedliche Reichweiten (Geltungsbereiche, Scopes) haben. Es gibt Unicast-, Multicast- und Anycast-Adressen. Die aus IPv4 bekannten Broadcast-Adressen gibt es nicht mehr, denn Broadcast ist durch Multicast abgelöst worden. Anycast-Adressen dagegen sucht man bei IPv4 vergeblich. Auf die Adressarten, ihren Aufbau und ihre Schreibweise wird im übernächsten Abschnitt (5.4.3 IPv6-Adressen) noch näher eingegangen.
IPv6-Adressen sind so groß, dass MAC-Adressen eingebettet werden können, wodurch die bei der Zustellung von IPv4-Datagrammen erforderliche kommunikationsgestützte Ermittlung der MAC-Adresse zu einer gegebenen IP-Adresse überflüssig wird. Übrigens können auch IPv4-Adressen in IPv6-Adressen eingebettet werden, was den Übergang vom alten zum neuen Protokoll erleichtern kann.
Der IPv6-Protokollkopf enthält kein Optionenfeld. Dafür gibt es einen strukturierten Ersatz durch einen Basisprotokollkopf (Basisheader), zu dem bedarfsabhängig Erweiterungsprotokollköpfe kommen können.
Bei IPv4 ist der Adressraum auf Grund der Entstehungsgeschichte des Internet stark fragmentiert. Der sehr große IPv6-Adressraum erlaubt eine hierarchische Gliederung des Internet, die das Routing vereinfacht. Man beachte, dass in IPv6-Adressen eingebettete MAC-Adressen ebenfalls zur Vereinfachung des Routing beitragen. Auch ist es unter IPv4 eine Aufgabe der Router, Pakete gemäß den maximalen Transporteinheiten der angeschlossenen physikalischen Netzwerke zu fragmentieren. Bei IPv6 ist diese Aufgabe den Routern entzogen worden, wodurch sie entlastet werden. Wenn hier ein Router feststellt, dass ein ihm übergebenes Paket zu groß für den physikalischen Transport ist, sendet er eine ICMP-Nachricht an den Sender. Es ist dessen Aufgabe, dann feiner zu fragmentieren und die Daten erneut zu senden.
In IPv6 ist ein Verfahren zur Autokonfiguration integriert worden. Damit ist die dynamische Zuweisung einer Start-IP-Adresse gemeint. Bei IPv4 wird dafür das bereits im Abschnitt 5.3.3 (IPv4-Adressen) erwähnte Dynamic Host Configuration Protocol (DHCP) verwendet. Bei IPv6 kann die IP-Adresse aus der MAC-Adresse generiert werden. Weiterhin wird bei IPv6 auch das Roaming unterstützt bei dem bei Ortswechseln die IP-Adresse beibehalten werden kann, und in das neue Protokoll sind Sicherheitsmaßnahmen integriert worden, die für Anwendungen transparent Verschlüsselungen und Authentifizierungen durchführen.
Für den Übergang von IPv4 auf IPv6 sind mehrere Verfahren entwickelt worden. Weit verbreitet ist das sogenannte Dual-Stack-Verfahren, das beispielsweise an unserer Hochschule eingesetzt wird. Bei ihm werden die beiden Protokollversionen nebeneinander betrieben. Dabei wird jeder Geräteschnittstelle zum Internet neben einer IPv4-Adresse auch eine IPv6-Adresse zugewiesen. Zugehörige Rechner können dann über beide Protokolle unabhängig voneinander kommunizieren. Bei der Adresszuordnung kann die Einbettungsmöglichkeit von IPv4-Adressen in IPv6-Adressen verwendet werden. Alternativ dazu können Tunnelungsverfahren verwendet werden, bei denen IPv6-Pakete in IPv4-Paketen und umgekehrt verpackt werden. Auch Übersetzungsverfahren ähnlich wie bei dem im Abschnitt 5.3.3 (IPv4-Adressen) beschriebenen Verfahren Network Address Translation (NAT) stehen zur Verfügung.