Für Softwareentwickler ist Qualität ein Fremdwort
Aufgrund ungenügender Entwicklungsmethoden ist die Qualität der Anwendungen oft schlecht. Dies zeigt eine Bestandsaufnahme der deutschen Softwarebranche, die das Bundesforschungsministerium in Auftrag gegeben hat. Ein Wandel zum Positiven ist allerdings im Gange.
Nur bei rund 50 Prozent aller Unternehmen, die in Deutschland Software schreiben, erfolgt die Entwicklung nach einem Vorgehensmodell. Dieses ist eines der erschreckenden Ergebnisse der Studie "Analyse und Evaluierung der Softwareentwicklung in Deutschland", die vom Bundesforschungsministerium in Auftrag gegeben wurde. Bei dieser repräsentativen Studie handelt es sich laut Dieter Abendroth vom Forschungsministerium um die aufwändigste Bestandsaufnahme, die in diesem Bereich gemacht wurde. 19 200 Unternehmen stellen in Deutschland Software her, 10 550 davon vermarkten die Anwendungen als eigenständiges Produkt. Von den 19 200 Unternehmen wurden knapp 1000 intensiv befragt, um neben quantitativen Aussagen auch qualitative zu erhalten.
Das Fehlen eines Vorgehensmodells bedeutet laut Studie, dass die Hälfte der Firmen oft einfach ins Blaue hinein programmieren, ohne sich groß Gedanken über den Ablauf der Softwareerstellung zu machen. Sie gehen keine systematischen Wege, um die Anwendung entstehen zu lassen: Innerhalb dieser etwa 10 000 Softwareschmieden gibt es oft keine einheitlichen Entwicklungsmethoden, an der Kooperation innerhalb der Entwicklerteams hapert es. Dadurch ist die Einhaltung von Terminen und Kosten oft nur schwer sicherzustellen, Entwicklungsentscheidungen können häufig nicht nachvollzogen werden, eine langfristige Pflege der Anwendungen ist nur mit großem Aufwand möglich. Es wird chaotisch programmiert.
Es wird chaotisch programmiert
Speziell bei kleinen und jungen Unternehmen "erfolgt die Entwicklung der Software in der Regel chaotisch", wie die Studie betont. In manchen Fällen, wenn die Projekte und die Teams klein genug sind, ist dieses Vorgehen teilweise sogar effektiv. Bei der Entwicklung größerer Anwendungen oder in Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern leidet laut Bestandsaufnahme die Qualität der Software deutlich. Bei wachsender Professionalisierung und Größe der Firmen ist ein Wandel zu systematischen Vorgehensweisen festzustellen.
Allerdings sind die Unternehmen, die hauptsächlich von der Softwareentwicklung leben, in der Regel noch junge und damit relativ kleine Unternehmen. 67 Prozent der Softwareschmieden wurden nach 1990 gegründet. Bei diesen jungen Firmen hat häufig Kosten- und Liefertreue Vorrang vor einer hochwertigen Qualität der Software, wie die Studie herausgefunden hat. Dieses Qualitätsdefizit ist den jungen Unternehmen auch bewusst. Folgerichtig macht die Bestandsaufnahme auch bei diesen Unternehmen einen Trend hin zu Vorgehensmodellen aus, die die Qualität verbessern sollen. "Die deutschen Softwareentwickler setzen nur zögerlich auf Qualität", betont Abendroth.
Kritik erntet in der Studie auch die Art, wie die Qualität der Softwareprodukte gesichert werden soll: "Die Qualitätssicherung findet in der Regel erst in den späten Phasen der Softwareentwicklung statt." Manchmal wird sie sogar noch weiter nach hinten geschoben. Erst das praktisch fertige Produkt wird getestet. Treten hier Probleme auf, müssen Teile der Software oft ganz neu geschrieben werden.
Arbeit ist schlecht organisiert
Diese Vorgehensweise liegt laut Studie an den organisatorischen Rahmenbedingungen. Ein großer Teil der Unternehmen hat eine Qualitätssicherungsabteilung, die unabhängig von der Softwareentwicklung arbeitet – also erst sehr spät die Anwendungen zum Testen bekommt. Als den besseren Weg bezeichnet die Studie die Integration von der Qualitätssicherung in die Softwareentwicklung. Die Projektleiter wären daher selbst für die Qualität verantwortlich. Der Anreiz, qualitativ hochwertige Software zu schreiben, sei größer, Fehler werden schneller erkannt und behoben. Zudem können die Entwickler aus ihren Fehlern lernen.
Viele Unternehmen vergeben zurzeit noch die Chance, ihre Kunden mit in die Qualitätssicherung einzubeziehen. Allerdings sieht die Bestandsaufnahme in diesem Bereich einen Trend, hin zur "zunehmenden Einbeziehung des Kunden in verschiedene Phasen der Softwareentwicklung". Auch erkennen die Softwareschmieden langsam, dass Probleme in der Abstimmung mit dem Kunden zu Defiziten bei der Qualität führen können. Hier wird immer häufiger durch ein sehr detailliertes Anforderungsprofil vor der Erstellung der Anwendungen Abhilfe geschaffen.
Schwierigkeiten erwachsen auch häufig aus den Sprachbarrieren bei der Kommunikation zwischen den Kunden und Entwicklern. Missverständnisse treten auch deshalb auf, weil die Kunden häufig nicht den Informationsstand haben, der für die Erstellung eines Anforderungsprofils notwendig ist. Am Ende der Entwicklung sind deshalb in vielen Fällen kurzfristige Nachbesserungen erforderlich, die sich negativ auf die Qualität der Applikationen auswirken.
Die rund 250 Seiten starke Studie des Forschungsministeriums kann im Internet unter der Adresse
http://www.dlr.de/IT/IV/Studien/evasoft_abschlussbericht.pdfgeladen werden.
Quelle: Computer Zeitung Nr. 3 / 18. Januar 2001, Autor: Michael Reiter